Hirsestampfen bei den Dogon
Gemütliches Beisammensitzen in Ourou
Steilabfall von Bandiagara
Ehefrauen des Bürgermeisters von Ourou
Am Weg zum Maskenfest der Dogon
Dogondorf Ourou am Steilabfall
Heiliger Krokodilteich
Etagen-Maske beim Maskentanz der Dogon

Die Dogon im Rausch der Moderne?

Dies ist der Versuch eine Streitschrift in Tradition des französischen Pamphlets zu verfassen: Eine Attacke auf Denkweisen und Weltsichten, die zum Nachdenken anregen soll. Wesentlich provokativer als sonst gehalten, samt Urteilen, die wir euch ansonsten gerne selbst überlassen.

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Beinahe das gesamte Jahr 2005 befinde ich mich mit Gisi und unserem 2x4 Gefährt Hidalgo auf der 25 000 Kilometer langen Reise kreuz und quer durch den afrikanischen Kontinent.

Die Dogon, ein Volk in Mali beflügelten schon vor der Abfahrt die Fantasie. Die Menschen leben zurückgezogen am Steilabbruch von Bandigara in der Wüste. Sie sind ein altes Kulturvolk mit einem erstaunlichen Wissen über die Sterne, dass vielen Astronomen bis heute in Staunen versetzt. Die Dogon kennen seit Jahrhunderten den Zwergstern Sirius B, der um Sirus kreist. Sie richten ihr wichtigstes Fest, das Sigui-Fest, das Reisfest nach dem Umlauf dieses kleinen weißen Zwergsterns. Unserer westlichen Welt ist dieser mit freiem Auge unsichtbare Begleiter des Sirius erst seit Ende des 19. Jahrhunderts als Siruis B bekannt. Die Dogon nennen ihn nach der kleinsten Hirseart Po.

 

Wie schon so oft während der Reise werden wir gewarnt, uns keinesfalls ohne ein Geländefahrzeug zu den Dogon vorzutasten. In Bandigara will natürlich jeder den wir nach dem Weg fragen unser Guide, unser Führer sein.

 »Guide n?est pas necessaire!«, wir brauchen keinen Guide unsere holprige französische Standardantwort, die wir auf Tonband aufnehmen sollten. So schnell lassen sich die selbsternannten Führer jedoch nicht abschütteln, da sie mit Touristen an einem Tag mehr als das durchschnittliche Monatsgehalt eines Maliers verdienen können.

 »Ihr werdet den Weg nicht finden!«, prophezeien uns die einen ? andere versuchen uns einzuschüchtern, »Guides sind Pflicht!«

 Unglaublich, doch wir verfahren uns nicht am Weg nach Dourou, wie prophezeit. Beeindruckend ist von dort die Abfahrt durch eine enge Schlucht an den Fuß des rund 300 Meter hohen Steilabbruchs, wo noch einige ursprüngliche Dörfer liegen sollen. Da der Weg immer tiefsandiger wird, lassen wir die Luft der Reifen auf knapp eineinhalb bar ab ? erhöhen so die Auflagefläche Hidalgos. Am übernächsten Tag kommen wir im Dorf Ourou, wo wir die nächsten vier Tage verbringen werden, an. In diesen intensiven Tagen bekommen wir einen tiefen Einblick in das Alltagsleben und die Kultur dieses erstaunlichen Volkes mit seinem hohen handwerklichen Können und dem verblüffenden Wissen der Eliten.

 

Die Welt der Dogon erscheint uns noch als Idyll, doch die Verlockungen der Moderne sind eine enorme Versuchung. Das Raubtier lauert sprungbereit am Horizont. Der junge Samuel einer unser ständigen Begleiter, aus der höchsten sozialen Schicht ist bereits von der Gier nach westlichen Gütern besessen. In Ourou gehört er noch zu einer verschwindend kleinen Minderheit. Die anderen belächeln ihn und versuchen Samuel auf den Weg der Dogon zurückzuführen.

Im Nachbardorf Komokani haben die neuen Götter bereits Einzug gehalten ? Nike, chinesische Motorräder und Adidas. Das Gros der Jugendlichen ist verrückt nach westlichen Produkten.

»Ich will dein Guide sein!«, hören wir von jedem zweiten Jungen.

Die Touristen spielen ?Big Spender? - zahlen umgerechnet bis zu 70 Euro pro Tag ? meinen es gut mit den Guides. Legen noch ein paar Geschenke drauf. Das ist Sprengstoff in einer Gesellschaft die sich selbst erhält - wo die meisten sonst noch benötigten Dinge getauscht werden. Die Jungen hören nicht mehr auf ihre ach so ?rückständigen? Eltern. Die eigene Kultur wird ihnen zunehmend von Cola & Co. entfremdet.

»Wozu sollen wir uns die Geschichten der Alten noch anhören. Bekommen wir dafür ein Motorrad?«, einer der Guides aus dem Dorf.

Wenigstens finden sie das Maskentotenfest - bei dem alle paar Jahre die Toten eines Dorfes in Jenseits der Dogon begleitet werden -  noch wichtig. Wie lange noch? Wohl bis der erste Fernseher Einzug gehalten hat. Dann wird alles sehr schnell gehen. Die alten Götter werden endgültig stürzen. Mit ihnen das Wissen und die Tradition. Das soziale Gefüge wird den Bach hinunter gehen. Die Jungen in den Slums der Städte verkommen ? die Alten entwurzelt. Wir hoffen, dass es hier überhaupt noch ein nächstes Sigui-Fest geben wird. Vielleicht gesponsert von Coca Cola für betuchte Touristen mit den Dogon als Statisten?

Zum Glück gibt es noch keinen Strom für Fernseher, Sat & Co. Es wird sich jedoch sicher eine NGO, eine Hilfsorganisation finden lassen, die Solarstrom Paneele aufbaut. Eine Regierungsorganisation, wie das der laut dem renommierten Journalisten Peter Scholl-Latour der CIA sehr nahestehende amerikanische Peacecorps, könnte doch ein paar Volontäre entsenden, um das Dorf für amerikanische Produkte zu entwickeln.

Ourou wird wahrscheinlich noch länger gegen die Verlockungen der Moderne durchhalten. Der junge Dorfchef ist sich der Gefahr, die sich durch die Erodierung seiner Kultur ergibt voll bewusst. Er weiß, dass das soziale Gefüge und die Identität seines Volkes in Gefahr sind - steuert gegen. Die Bewohner von Ourou leben für uns romantisierende Europäer in perfekter Harmonie mit der Natur auf einem sehr hohen geistigen Niveau. Für uns, die wir aus einer hochkomplexen Welt kommen ist es eine Wohltat ein Dorf zu erleben in dem die Arbeitsteilung noch überschaubar ist. Wo jeder noch den Großteil des Wissens seiner Kultur intus hat ist. Das astronomische Wissen und die letzen mythologischen Geheimnisse gehören allerdings zum Spezialwissen, welches der Elite vorbehalten ist. Samuel gehört zu dieser Elite. Es erschreckt uns, wie wenig er von seinen Eltern, Onkeln und Tanten gelernt hat.

Man mag nun einwerfen, Veränderung gehört zu jeder Gesellschaft - sind ein normaler Prozess. Stimmt!  Doch wofür wir in Europa Jahrhunderte gebraucht haben, dass sollen selbst archaische Gesellschaften in nur ein bis zwei Generationen schaffen. Das ist absurd! Dabei leben in Afrika hybride  Gesellschaften munter nebeneinander. Wir finden bei den Baya in der ZAR den Tonkrug bei den Bantu den Alutopf. Die Nomaden der Sudangruppe um den Tschadsee neben den Ackerbau betreibenden Haussa. Das Militär an der ersten Straßensperre in der ZAR lässt uns in den Lauf eines entsicherten Maschinengewehrs blicken, der Wächter der evangelischen  Mission in Bosémbéle benutzt vergiftete Pfeile und Bogen. In Angola sehen wir einen Ziehschlitten neben den haushoch überladenen LKWs auf der löchrigen Lateritpiste. Geschnitzte Bomberjets mit Bomben unter den Flügeln, jedoch ohne Triebwerksgondeln der Mafwe im Caprivi-Strip Namibias erinnern an die modernen französischen Jets der Tschadschen Luftwaffe in N?Djamena. Moderne Internetcafés in pulsierenden Großstädten kontrastieren zu Lehmdörfern ohne Strom und fließendem Wasser. Moslem neben Christen neben sogenannten animistischen Religionen und unzähligen Sekten und Kulten. Es ist ein buntes Nebeneinander von Tradition und Moderne.

Bei den San, die sich selbst lieber Bushmen nennen ? entgegengesetzt der Ansicht vieler Autoren in ihrem Elfenbeinturm - haben wir gesehen wozu zwanghaftes Sesshaft machen führen kann. Die Menschen fühlen sich entwurzelt und fangen an zu trinken.

»Das ist das einzige mir noch richtig Spaß macht im Leben!«, erzählt uns Benji. Die Besitzer der meist illegalen Kneipen ? Shebeens spendieren dem Bushman den ersten Drink. Danach gibt es meist kein halten bis entweder alles Geld versoffen ist oder der Shebeen-Besitzer dem halb besinnungslosen Bushmen alles abnimmt.

Erstaunlich dabei!  Auch die meisten Jungen haben noch das enorme pflanzliche Wissen der Bushmen, wie wir festgestellt haben.

Es besteht Hoffnung für die Dogon. Noch sind sie nicht wie die Bushmenkultur untergegangen. Noch wird durch die abgeschiedene Lage der Massenansturm der Touristen abgefedert.