Congoflussfahrt: Schlange als Wechselgeld

Vor über neun Monaten sind wir ? Gisela und Rüdiger ? mit unserem umgebauten Ford Transit, den wir Hidalgo getauft haben, von Österreich beginnend über Westafrika bis in die Zentralafrikanische Republik gefahren.

Inzwischen befinden wir uns seit zehn Tagen am Grenzfluss zwischen den beiden Kongos ? der RK, der Republik Kongo und der DRK, der Demokratischen Republik Kongo.

 

Das abgehalfterte Schubschiff Dauphin, ein Seelenverkäufer, tastet sich monoton stampfend mit zwei von Rost zerfressenen Stahlkähnen durch den tropischen Urwald. Beladen mit 500 Rindern, rund vierzig Passagieren und unserem Ford Transit-Bus. Morgen wird der Ubangui-Fluss in den Congo münden. Der wasserreichste Strom Afrikas wird uns schließlich nach Brazzaville und Kinshasa, die Hauptstädte der beiden Kongos bringen.

Der Dauphin-Schubschiffverband stoppt bei Djoundou, einem kleinen Village, die wir vergeblich auf unserer Karte suchen. Das idyllisch gelegene Urwalddorf hat originelle Zäune aus regenfesten Kakteen. Fast jede Hütte hat Blumen, Gemüse und Obst im Garten angepflanzt. Die Kongolesen verstehen es, sich das Leben hier im Urwald so richtig schön zu gestalten. Wir schlendern mit unserer Freundin, Schwester Dorothy durch die faszinierende Village. Sehen Frauen beim Zubereiten von Maniok zu. Plaudern ein wenig mit einer Gruppe von Dorfbewohnern unter einem schattenspendenden Baum. Eine Frau zerlegt gerade einen urzeitlich anmutenden Fisch mit Panzerung vom Kopf bis zum halben Rückgrat. Stress hat hier keiner. Die Menschen leben mit dem, was die großzügige Natur zu bieten hat. Papaya wächst wie Unkraut und wird deshalb auch erst gar nicht am winzigen Markt feilgeboten. Dort kaufen wir Zucker. Wie üblich ist kein Wechselgeld vorhanden. Aus einem Korb fischt die Frau den Schwanz einer Schlange heraus, genauer gesagt, den einer Boa. Ich bin perplex!

»Aber! Ich hätte lieber den Fis..«, versuche ich zu widersprechen.

Dorothy versetzt mir einen leichten Tritt. Autsch!

»Nimm schon, das ist eine Ehre! Beleidige sie nicht, sonst bringst du das Dorf gegen uns auf.«

Die Boa greift sich angenehm an. Nur schade, dass sie das Zeitliche segnen musste. In meinem Inneren tobt der Kampf zwischen Neugier und den seit der Jugend erworbenen Ansichten eines Europäers. Doch ich bin mitten in Afrika, hunderte Kilometer fern von jedem Weißen, in der Realität eines unverstandenen Kontinents. Hier mitten im Busch gelten andere Ansichten und Einstellungen, so ganz anders, als ich es mir in Österreich zuvor ausgemalt hatte.

»Europäer urteilen und verurteilen viel zu schnell.«, kommt mir eine Bemerkung Issakas, des malischen Generalkonsuls in den Sinn.

Habe ich meine Lektion noch immer nicht gelernt? Die Argumente des erfahrenen Händlers Jean-Pierre gehen mir auch immer wieder durch den Kopf. Er hat eigentlich Recht! Wie können sich andere anmaßen, über die Menschen hier im Busch zu urteilen und ihnen ihre Anschauungen aufzwingen? Keinem Afrikaner würde es einfallen, den Franzosen ihre Gänseleber zu verbieten. Die wird nicht gerade tierfreundlich in industriellen Mengen hergestellt ? Boas werden hingegen nur sehr selten gefangen. Lebendig machen können wir die Schlange sowieso nicht mehr, also ab in den Topf! Doch wie bereite ich die Schlange zu? Hilfesuchend wende ich mich an Jean-Pierre. Grinsend zeigt er mir, mit geübtem Handgriff, wie man die Boa richtig ausweidet - alle 10 Zentimeter einschneiden und dann die Eingeweide herausziehen. Die Leber und das Fett legt Jean-Pierre beiseite.

»Vor allem das Fett hat mythische Heilkraft.«

»Gisieh tauche die Boa für fünf Minuten in heißes Wasser. So kannst du sie besser häuten.«, gibt Jeanne einen Tipp.

Das ist aber wohl nur ein Gerücht! Mit viel Mühe häuten wir die widerborstige Boa. Während die Schlange in heißem Fett herausgebraten wird, grillt Schwester Dorothy Plantain, die köstlichen Kochbananen als Beilage. Die etwas zähe Boa schmeckt auch Dorothy ausgezeichnet. Das Aroma erinnert mich an Hühnchen durchzogen mit gezüchtetem Krokodil. Wie mundet nun so ein Kroko? Die von den Zuchtfarmen ähneln im Geschmack einer Mischung aus Huhn und Shrimps mit einem Hauch von Seeteufel.

 

Zusammenfluss von Ubangui und Congo

Gegen Mittag kommen wir an den Zusammenfluss von Ubangui und Congo. Schlagartig befinden wir uns auf dem wasserreichsten Strom Afrikas mit seinen unzähligen verwirrenden Nebenarmen. Der sagenhafte Congo, die Lebensader Zentralafrikas, löst nun den Ubangui bis Brazzaville als Grenzfluss zwischen den beiden Kongos ab.

»Der Congo ist der Fluss, der alle anderen schluckt.«, erfahre ich von Jean-Pierre, »er schluckt auch die Erinnerungen.«

Der Tanz der Pirogen scheint kein Ende zu nehmen. Die verderblichen Waren stapeln sich überall an Deck. Ein paar Kongolesen zimmern bei den Nomaden einen kleinen Pferch für Jean-Pierre. Sobald er die Schweine hineinsteckt, hebt lautstarkes Geschrei an.

»Bist du verrückt? Wir sind Moslems!«

Eilig lässt Jean-Pierre den Verschlag versetzen. Fünf Schweine grunzen eine Stunde später vergnügt bei der Toilette hinter Hidalgo.

»Wer sich halbwegs auskennt, kann im Kongo leicht Geld machen!«, erklärt unser gewiefter Freund.

»Den Korb für die Trockenfische, den ich um 500 CFA eingekauft habe, kann ich um 20 000 CFA in Brazza verkaufen. Bananenstauden kaufe ich um 500 CFA ein und verkaufe sie um das Zehnfache! So leicht ist das hier im Kongo!«

Elise, die scheue Frau von Kapitän Henri, kauft ebenfalls in rauen Mengen ein. Von einem Fischer hat die grazile Schönheit einen rund eindreiviertel Meter langen Panzerfisch erstanden. Wie Jeanne ein paar Stunden zuvor bei ihrem Exemplar, beginnt Elise dem urzeitlichen Wasserbewohner bei lebendigem Leib die Flossen abzuhacken. Ich will mir das kein zweites Mal ansehen. Mitleid mit der Kreatur scheint hier ein Fremdwort zu sein.

»Elise, bitte lass? mich den Fisch töten!«, rufe ich ihr zu.

Erst nach drei kräftigen Hieben mit der Machete schaffe ich es, seine Panzerung zu durchbrechen und ihn von seinen Leiden zu erlösen.

»Jetzt kannst du ihm die Flossen absäbeln!«

Elise sieht mich mit verständnislosen Augen an ? der Weiße benimmt sich manchmal schon sehr eigenartig.

Rundherum raucht und qualmt es aus den Räuchertonnen. Bald hängt der urtümliche Flussbewohner, neben madenbefallenem Trockenfisch, im beizenden Qualm. Rauchschwaden treiben uns die Tränen in die Augen. Hustenanfälle quälen uns in periodischen Abständen! Der ?Atem der Hölle? scheint jedoch keinen unserer Freunde auch nur im Entferntesten zu stören. Die Sonne geht unter! Qualmen ohne Unterlass. Es wird Nacht! Der Rauch beißt sich in unsere Lungen. Wir legen uns in Hidalgo schlafen! Gisis Lippen beginnen nach einiger Zeit zu kribbeln.

»Das ist die Tonne von Elise. Sie räuchert uns noch aus!«

Missmutig suche ich die Räucherkönigin in ihrer Kabine heim.

»Machst du bitte endlich das Feuer aus! Mir ist schon übel von dem Rauch.«

»Das geht nicht Rüdieh! Ich muss den Fisch über Nacht machen, sonst kann ich morgen keinen Neuen kaufen.«

Erst nach einigem Hin und Her sieht Elise ein, dass sie uns mit ihrer Qualmerei um die Ecke bringen kann.

 

weitere REISEBERICHTE:

 

Congoflussfahrt I: Schlange als Wechselgeld

Congoflussfahrt II: Afrikanische Heils- und Glaubenswelten

Congoflussfahrt III: Der Congo schluckt die Erinnerungen