Vor einigen Jahren notierte ich mir auf einem kleinen selbstklebenden Papierfetzchen den Tag der Sonnenfinsternis, denn ich war schon damals gespannt auf das große Naturschauspiel. Doch eigentlich hätte ich mir die Notiz sparen können, da die Medien bereits vor Wochen systematisch begannen davon zu berichten. In den letzten Tagen hätte selbst ein absolut ›Medien-Blinder‹ von der Sonnenfinsternis erfahren, denn die Aufsteller von News, Profil und all den anderen waren unübersehbar. Die Krone verschenkte über 1,5 Millionen Augenschützer und als News dann seiner Beilage eine Sonnenfinsternisbrille beilegte und fleißig im ORF bewarb, war die gesamte Auflage bereits um acht Uhr morgens restlos vergriffen. Das es beim ersten mal so toll funktionierte legten die News Betreiber auch ihrer Schwesternzeitschrift Format so ein auflagensteigerndes Prachtexemplar bei und wieder war die Auflage innerhalb kürzester Zeit vergriffen. Gisi ergatterte zum Glück noch einige Brille beim dm und ich noch eine Schutzfolie für mein Kameraobjektiv.

Wir schmiedeten eifrig die Pläne für den Tag X - Reichraninger Hintergebirge sollte es werden, doch Simis Kassandrarufe bezüglich möglicher Quell-wolken fanden ein paar Tage vor der Eklipse aufgrund der schlechten Wettervorhersage rasch Gehör und das südliche Burgenland wurde als idealer Beobachtungsort auserkoren. Guru und Hubsi samt neuer Flamme und ein weiteres Pärchen wollten mit uns ins Burgenland, genau auf die Zentrallinie des Kernschattens. Da auf den zahllosen veröffentlichten Grafiken die Orte im Burgenland nicht angegeben waren, bewaffnete ich mich mit Lineal und Stift und zeichnete die Zentrallinie, aufgrund der mir bekannten Orte, wie Gmunden auf der Karte ein. Das Ergebnis war Rechnitz im Burgenland unter dem Günser Gebirge, wo zufällig auch Manis Mutter ihr Zweithäuschen hat.

Da bereits von den Autofahrerclubs heftigst vor dem sich anbahnenden Verkehrschaos gewarnt wurde, beschlossen wir bereits einen Tag früher ins Zielgebiet zu fahren und im Wald zu übernachten, doch es regnete überall. Gisi und ich fuhren trotzdem als Scouts los, da die anderen erst mitten in der Nacht nachkommen konnten. Wir unterschätzten jedoch die Strecke und kamen erst bei finsterster Nacht im Burgenland an. Es folgte nun die Suche nach dem idealen Schlafplatz - Forststraße rein, Wald zu dicht und wieder raus - so ging das einige Male, einmal drehten wir im Wald auch vor einem Häuschen um und die Bewohner starrten ziemlich verdutzt durchs Fester. Doch schlußendlich machte sich die Suche bezahlt und wir schlugen unser Zelt in einem wunderschönen, naturbelassenen Mischwald auf. Das Mobiltelefon funktionierte dort nur mehr über das ungarische Netzt und wir verabredeten uns mit den Nachzüglern bei einem Gasthof auf einer Hügelkuppe. Wir waren hungrig und versüßten uns das Warten mit einem Autopicknick. Leider hatte das Handy keinen Empfang und wir wurden ein wenig unruhig und ich beschloß ein paar Kilometer zurückzufahren um wieder telefonieren zu können. Natürlich steckten dann die anderen im Funkloch und wir kamen gerade eine Minute vor ihnen wieder auf die Hügelkuppe zurück.

Im Wald bauten die andern nun auch ihre Zelte auf, lobten uns für den schönen Schlafplatz, der Sternenhimmel leuchtete uns entgegen - unser Op-timismus hatte sich also ausgezahlt und begossen unser Glück mit einer Flasche Rotwein.

Wir legten uns schlafen und nach einigen Stunden begann es ganz langsam zu regnen bis in den Morgen hinein und der Himmel war auch nach dem Aufstehen total bewölkt. Guru hatte im Auto geschlafen und kam zu uns heraufgefahren, ich bereitete das Wasser für den Kaffee zu, als das Auto mit dem Förster kam. Wir waren alle auf ein Donnerwetter eingestellt, doch der Förster bat uns nur den Platzt in einer halben Stunde zu räumen und gab uns noch Tips für den besten Beobachtungsplatz für die Finsternis.

Wir plazierten uns in Rechnitz mit Blick über die ungarische Tiefebene auf den Weinbergen - direkt auf der Zentrallinie des Kerschattens.

Auf dem Hügel unter uns lagerten vor Beginn des Ereignisses so um die hundert Leute, viele auch mit Kameras und Feldstechern - silbrig schimmerten die Schutzfolien davor. Der Mond begann langsam an der Sonne zu knabbern und der kosmische Ofen wurde im Lauf von eineinhalb Stunden immer mehr zu einer schmalen Sichel - ein Ebenbild des abnehmenden Mondes. Wolken kamen bedrohlich näher, und eine dünne Schicht hatte sich über den Himmel gebreitet. Die Leute blickten immer mal wieder, voller Erwartung in die Sonne und dann ging es Schlag auf Schlag:

Ich wollte unbedingt den mit mehr als zweieinhalb-facher Schallgeschwindigkeit heraneilenden Mond-schatten mit den unheimlichen, dunklen Schlangen, die sich am Boden züngeln, sehen - nicht aber die schimmernde Perlenschnur und den Diamantring versäumen:

Aufblitzt die Sonne, als sich der Mond in deckender Vollkommenheit über sie stülpt, und in einer Sekunde erlischt für eine kurze Ewigkeit unsere Lebensspenderin, um sich uns Sterblichen in ihrer vollkommenen Pracht zu zeigen.

Innerhalb weniger Augenblicke manifestierte sich ein alle Sinne berauschender, in blutorangeroten Tönen gehaltener Sonnenuntergang, unbarmherzig verfolgt von tiefblauer Dunkelheit, die sich sonst nur in den Wüsten finden läßt. Wie durch kosmische Zauberhand funkelten die Sterne am Firmament und unsere Sonne verwandelte sich dabei in ein, in allen Farben des Regenbogen, übernatürlich-gleißendes Juwel und übertraf die kühnsten Vorstellungen und Erwartungen. Traumtänzerisch machte ich meine Aufnahmen und spähte, überwältigt und ergriffen von so viel Schönheit, in die Korona unseres Sonnenofens. Es war der glanzvollste Anblick meines Lebens: Die Protuberanzen schossen Fackeln gleich, weiter und immer höher in den Weltenraum hinaus, und eine Explosion der Farben benebelte die Sinne. Die Planeten Venus und Merkur leuchteten am hellsten - links und rechts: Wegweiser, zum kosmischen Ofen, der von den alten Ägyptern zu Recht als Sonnengott Ra verehrt wurde. Jupiter und Saturn, Statisten gleich, flankierten mit anderen Sternen das kosmische Spektakel. Die Welt herum versank in einer schaurig-schönen Stimmung, erfüllt mit phantastischen Lichtspielen in den Wolken am Firmament. Die Natur mitsamt den Vöglein hielt den Atem an, und alle Menschen schauten staunend und raunend, bar jeglicher Sprache in die ›Aura‹ ihrer Lebensspenderin.

Die Zeit der Finsternis von zwei Minuten und 20 Sekunden verflog in nur wenigen Augenblicken, und als der Diamantring wieder aufblitzte, wurde mir gewahr, weshalb Zeit nur ein relativer Begriff ist. Die ersten Minuten nach der totalen Finsternis war ich wie benommen von den zahlreichen, unerwarteten Eindrücken - eine vollkommen neue Sinneswelt hatte sich mir aufgetan und ist mit Bildern oder Worten nicht annähernd zu beschreiben. Es ist wie, wenn ich einem von Geburt an Blinden versuchen sollte, die visuelle Welt begreiflich zu machen. Ich werde auch nie wissen, wie es für Armstrong und die anderen Astronauten wirklich da oben auf dem Mond war. Wir können nur Eindrücke vermitteln, die mit dem Erfahrungsschatz der anderen halbwegs übereinstimmen. Vollkommen neue Sinneswelten können wir nur durch die direkte Erfahrung begreifen, und uns ansonsten nur als abstraktes Konstrukt vorstellen, jedoch nie mit allen Sinnen und Gefühlen erschließen.

Erst jetzt kam ich dazu Gisi in den Arm zu nehmen, zu schnell war der Mond vorübergeeilt, und wir drückten einander in tiefer Glückseligkeit - in dem Bewußtsein, Zeugen eines vollkommenen Augenblicks gewesen zu sein.

 


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